Frau Peter & der Notar

Frau Peter hat lange nicht mehr geschrieben. Sie könnte das auf das Jahr 2020 schieben. Die ganze Covid 19-Thematik wäre eine gute Ausrede. Aber eben auch nur das: eine Ausrede.

Warum also hat Frau Peter nicht, wie in ihren Vorsätzen für das Jahr 2020 beschlossen, jede Woche mindestens einen Beitrag geschrieben?

Die Antwort ist eine Mischung aus vielen Dingen.
Perfektionismus, zum einen – warum etwas Schreiben, wenn es Frau Peters Anspruch perfekt zu sein gar nicht gerecht wird (und werden kann)? Selbstzweifel, zum anderen – es interessiert doch eh niemanden was sie schreibt, oder?
Faulheit ist auch noch ein sehr guter Grund. Den Schweinehund überwinden, die Gedanken ordnen und zu Papier bringen, wie anstrengend!
Und zu guter Letzt hatte Frau Peter auch noch ein paar andere Projekte, die ihre Zeit und Gedanken im letzten Jahr in Anspruchs genommen haben.

Von einem, dem größten, will sie jetzt endlich berichten:

Ein heißer Spätnachmittag Ende Juli 2020 in Berlin.
Frau Peter sitzt mit einer Freundin in einer Anwaltskanzlei an der Jannowitzbrücke. Aus dem Fenster kann man über die angrenzenden Häuser die Dächer der Museumsinsel sehen. Die schwarzen Ledersessel im Empfangsbereich wirken edel. Frau Peters durch das Sommerkleid nackte Beine bleiben an ihnen kleben und schwitzen noch mehr.
Mehr und mehr Personal der Kanzlei macht Feierabend. Frau Peter wird versichert, dass der Notar bei dem sie einen Termin hat, sie gleich empfängt.
Ein weiterer Mitarbeiter weist sie kurze Zeit später darauf hin – halb im Scherz, scheint aber selbst unsicher – dass sie aufpassen soll, nicht eingeschlossen zu werden.

Mit dreißig Minuten Verspätung führt der Notar Frau Peter und ihre Begleiterin in einen Besprechungsraum. Der Versuch die Klimaanlage einzuschalten dauert fast länger als der Termin selbst.

Frau Peter braucht eine notarisch beglaubigte Bescheinigung für eine Garantieperson. Wofür das ganze? Sie möchte ein Kind. Und da kein potentieller Vater in Sicht ist, nutzt sie einen Samenspender. Die Kinderwunschklinik, die sie auf diesem Weg begleitet, wünscht sich bei alleinstehenden Frauen, sprich alleinerziehenden Müttern, die Bescheinigung einer Garantieperson, die für das Wohl des Kindes mitverantwortlich ist. Die Bescheinigung hat keinen rechtlichen Wert, sie dient eher dem ruhigen Gewissen.

So leitet auch der Notar seine Erläuterungen ein. Frau Peters Begleiterin hat kein Recht auf das Kind.
Ja, warum sollte sie denn auch, fragt sich Frau Peter. Die Bescheinigung ist doch nur für dich Klinik gedacht.

Auch würde Frau Peters Begleiterin nichts erben, sollte ihr – Frau Peter – etwas zustoßen.
Warum sollte sie denn auch etwas erben? Frau Peter ist nur wirklich verwirrt. Es geht doch nur um die hypothetische Betreuung des Kindes.

Sie – Frau Peters Begleiterin – müsste das Kind schon adoptieren, wenn sie ein Anrecht darauf haben will.
Äh, okay… Darüber kann man ja nachdenken, wenn es soweit kommen sollte…

Der Notar schaut Frau Peter an und fragt, ob sie vorhabe zu heiraten.
Frau Peter gerät ins stottern. Was soll denn bitte diese Frage? Was hat die Frage, ob Frau Peter jemals heiraten möchte damit zu tun, ob sie jetzt ein Kind haben möchte und darum diese dumme Bescheinigung braucht!? Frau Peter ist kurz davor sich zu echauffieren.

Dann macht es klick, ein Licht geht an und alle merkwürdigen Fragen des Notars ergeben plötzlich einen Sinn: Der Notar glaube, Frau Peter und ihre Begleiterin wären ein Liebespaar!

Frau Peter fängt an zu lachen, ihre Begleiterin ebenfalls. Bei ihr hatte es früher klick gemacht, sie wollte aber den Notar (und Frau Peter?) etwas schmoren lassen. Nachdem Frau Peter erklärt, dass sie alleinerziehend sein wird, und es sich hier nur um eine Formsache handelt, ist der Termin schnell vorbei.

Das Erlebnis bleibt für eine Weile der Running Gag. Fast muss man es dem Notar hoch anrechnen, dass er automatisch von einem lesbischen Paar ausgegangen ist. Aber es zeigt auch, wie ungewöhnlich es empfunden wird, alleinerziehend zu sein. Freiwillig! Also, so ganz ohne aus Versehen schwanger oder verlassen zu werden. Kann man das denn machen? So mit Beruf und allem, ganz ohne Partner?

Frau Peter probiert es aus. Sie vermutet, dass Partner*innen die Kinderbetreuung und -erziehung nicht unbedingt immer leichter machen. Aus ihrem Bekanntenkreis bezeichnen einige Mütter ihre Partner sogar als zusätzliches Kind, um das sie sich auch noch kümmern müssen. Diese Bürde fällt für Frau Peter ohne Partner also weg. Und Unterstützung hat sie durch Familie und Freunde genug. Diese unterstützen sie in ihrem Vorhaben.

In Frau Peters Erfahrung zeigen vor allem Männer Unverständnis für ihre Entscheidung.

Vor ein paar Monaten saß sie bei ihrem Hausarzt. Bei den Voruntersuchungen in der Kinderwunschklinik kam eine Schilddrüsenunterfunktion heraus, die nun behandelt werden muss. Der Arzt schaut sich das Blatt mit den Blutergebnissen aus der Klinik an. Aus dem Logo in der rechten oberen Ecke des Blattes geht hervor, dass es sich um ein Kinderwunschzentrum handelt.
„Da kann man auch was mit Akupunktur machen!“ sagt der Arzt zu Frau Peter. Sie mag ihn sehr, er behandelt mit einer gesunden Mischung aus Schul- und Alternativmedizin. Jetzt aber muss sie lachen, und erklärt, dass sie nicht wegen Unfruchtbarkeit in der Klinik in Behandlung ist, sondern weil sie keinen Mann hat. Und sie glaubt nicht, dass Akupunktur dabei helfen könnte.

Zack, Ruhe!
Der Arzt ist sichtlich betreten, schweigt, studiert wieder die Blutwerte und lenkt dann das Thema darauf.

Dass sich Frauen Fremdsperma beschaffen, um emanzipiert und unabhängig Kinder zu bekommen, scheint ein unangenehmes und fast abwegiges Thema für Männer zu sein.

Als Frau Peter neulich einem (natürlich Corona-konformen online-) Date von ihrem Vorhaben berichtete, musste sie sich ganz schön rechtfertigen, warum sie denn zu Samen von anonymen Spendern greift. Es gäbe doch so viele tolle Männer da draußen. Da muss doch jemand zu finden sein.

Empfinden Männer bewusst alleinerziehende Frauen als Bedrohung? Haben sie das Gefühl, sie verlieren dadurch ihre Daseinsberechtigung?

Frau Peter jedenfalls ist schon sehr gespannt, was für Gespräche noch auf sie zukommen werden.

Frau Peter und die Berufung

Da Frau Peter neben Arbeit, Dissertationsprojekt und Privatleben anscheinend nicht genug zu tun hat, hat sie nun auch noch eine nebenberufliche Ausbildung begonnen. Eine Heilpraktikerausbildung zur Psychotherapeutin.

Psychologie interessiert Frau Peter schon seit Jahren. Gern hätte sie es studiert, aber der NC hat sie nach dem Abitur davon abgehalten. So groß war der Wunsch nach diesem Studium dann doch nicht, um sich so richtig in die Arbeit zu stürzen und ein 1,0er Abi zu erreichen. Immer nur das Nötigste tun, um zwar halbwegs gut, aber mit wenig Aufwand durch die Schule zu kommen. Das war (und ist teilweise immer noch) Frau Peters Motto.

Vor ein paar Jahren, als Frau Peter dreißig wurde, überlegte sie ihr Leben noch einmal völlig auf den Kopf zu stellen. Den sicheren Job aufgeben und stattdessen Psychologie an einer Privat-Uni ohne NC, aber mit horrenden Studiengebühren zu studieren. Letztendlich hat sie sich dagegen entschieden. Die Aussicht auf Verschuldung hatte Frau Peter den Gedanken an das Studium vermiest. Stattdessen entschied sich Frau Peter zu dieser Zeit dazu zu promovieren, und so ihrem Leben wieder etwas mehr Sinn zu geben.

Ganz losgelassen hat sie das Thema Psychologie aber nicht. Frau Peter wollte Menschen helfen. Warum also nicht ihre Gabe, dass Menschen von sich aus auf sie zukommen, Frau Peter von ihren Problemen berichten und um Rat fragen, zum Beruf machen?
Als sich Frau Peter vor einem dreiviertel Jahr mit einer Bekannten unterhielt, die selbst Psychologie studiert hat, dann aber beruflich in eine andere Richtung gegangen ist, erzählte ihr diese von der Möglichkeit der nebenberuflichen Ausbildung.

Frau Peter recherchierte ein bisschen, traf dann aber schnell aus dem Bauch heraus die Entscheidung, dass die nebenberufliche Ausbildung der richtige Weg für sie war. Schnell klärte Frau Peter die Formalia, bevor sich ihr Kopf wieder einschalten und sie von dieser Entscheidung abhalten konnte. Denn trotz des starken Wunsches nach der Psychologie-Ausbildung kamen in den Monaten zwischen der Entscheidung zur Ausbildung und dem tatsächlichen Beginn unzählige Zweifel auf. War es die richtige Entscheidung? Die Ausbildung ist teuer. Was, wenn Frau Peter das Geld in den Sand setzt? Die Ausbildung abbricht? War das Ausbildungsinstitut, für das sie sich entschieden hat, wirklich das richtige?

Die altbekannten Unsicherheiten, die Frau Peter auf jedem Schritt begleiten, traten wieder zu Tage.

Nun läuft die Ausbildung bereits seit ein paar Monaten und Frau Peter ist glücklich. In der ersten Stunde wusste sie, es war die richtige Entscheidung.
Ja, die Ausbildung mag nicht die günstigste sein, aber es ist eine Investition in sie selbst, in Frau Peter. Egal, was sie danach damit anfangen wird – ob sie sich mit einer eigenen Praxis selbständig macht oder das Wissen „nur“ in ihrem jetzigen Job anwendet – persönlich wird sieFrau Peter weiterbringen. Sie lernt, viel, vor allem über sich selbst.

Die Erkenntnis der ersten Unterrichtsstunde:
Wir können andere Menschen und / oder ihr Verhalten nicht ändern. Was wir ändern können, ist uns und unser eigenes Verhalten.

Eigentlich eine so einfache Aussage, trotzdem verliert sie Frau Peter gern aus den Augen.
Wenn Frau Peter wütend ist, weil etwas nicht klappt, ihr ein ungeliebter Kollege den Tag vermiest oder einfach nur die Bahn vor ihrer Nase wegfährt, verwünscht Frau Peter gerne mal die ganze Menschheit.
Seit neustem versucht sie stattdessen inne zu halten, durchzuatmen, und zu überlegen: Ändert ihre Wut etwas an der Situation? Nein.
Fühlt sich Frau Peter besser, wenn sie wütend ist? Vielleicht kurz, aber im Grunde verschwendet sie ihre Energie nur für etwas sinnloses.

Frau Peter kann weder den ungeliebten Kollegen, noch den Bahnfahrer, der wahrscheinlich nur versucht seinen Zeitplan einzuhalten, oder deren Verhalten ändern. Was sie ändern kann, ist ihr eigenes Verhalten der Situation gegenüber.

Warum also nicht mal lächeln? Oder die verpasste Bahn als Anlass zum Laufen nehmen, um mehr Aktivität in den Alltag zu bringen? Und der ungeliebte Kollege kann eine gute Übung in Geduld und Nachsicht sein. Meistens ist das, was uns an anderen Menschen stört auch das, was wir an uns selbst nicht mögen.

Frau Peter wird jedenfalls zukünftig versuchen, das Beste aus unliebsamen Situationen zu machen.

PS:

An dieser Stelle passend noch ein Disclaimer (wie es Neudeutsch so schön für „alle Angaben ohne Gewähr“ heißt): Ohne Heilerlaubnis darf Frau Peter nicht therapieren. Die Heilerlaubnis erhält sie erst, wenn sie eine Prüfung abgelegt hat. Das wird voraussichtlich erst in einem guten Jahr der Fall sein.
Jegliche hier, oder allgemein im Blog genannten Gedanken sind nur das, Gedanken! Genauer: Frau Peters Gedanken. Sie stellen keine Allgemeingültigkeit dar oder sind der Weisheit letzter Schluss. Sie sollen anregen, nichts weiter.